Mögen Sie es auch nicht, wenn Ihnen dauernd jemand sagt, Sie müssten dies oder jenes tun: mehr Sport treiben und weniger Fleisch essen? Oder Sie müssten dies oder jenes denken: über die Lösung der Flüchtlingskrise oder das Weltklima?
Die einzig angemessene Reaktion auf solche Zumutungen hat der Autor Tommy Jaud in einem einprägsamen Buchtitel festgehalten – auch wenn man das vornehmer ausdrücken kann: Einen Sch… muss ich! Es geht, denke ich, tatsächlich darum, sich von Zumutungen und Bevormundungen nicht unterkriegen zu lassen. Ratschläge sollen Ratschläge bleiben, sie sollen nicht ungebeten kommen, und wir sollen die Freiheit haben, sie anzunehmen oder nicht.
Nicht andere haben mir zu sagen, was ich tun soll, denn das muss ich ja selbst verantworten. Andere haben mir auch nicht zu sagen welche Haltung ich bei bestimmten Fragen einnehmen soll. Das sagen mir mein Glaube und mein Gewissen. Und man sollte keine Angst haben, eine andere Meinung zu vertreten. Wir sollen nicht der Menge hinterherrennen, sollen uns nicht „der Welt gleich zu stellen“, wie schon der Apostel Paulus geschrieben hat.
In unserem freiheitlichen Land ist das ja eine seltsame Frage: „Muss ich das tun?“ Denn müssen, so viel sei gesagt, müssen tun wir gar nichts. Oder besser gesagt. Eine Sache müssen wir tun: nämlich verantworten können, was wir tun. Nicht vor anderen, sondern vor Gott. Und Gott ist kein Offizier. Gott gibt keine Befehle!
Sonst hätte er ja nicht Mensch werden und am Kreuz sterben müssen. Sonst hätte ja die große Befehlsausgabe gereicht, wie sie manch andere Religionen kennen oder kannten, wo Gott Befehle zum rechten Leben erteilt. Und die Ausführung der Befehle lässt einen dann die Erlösung verdienen oder garantiert sie.
Gott aber gibt, so glaube ich, keine Befehle, sondern er ist Mensch geworden. Ein gutes und richtiges Leben in seinem Sinne ist Wirklichkeit geworden und man kann es ganz einmalig in Jesus Christ sehen. Ein Leben in Liebe. Und Liebe kann man eben nicht befehlen, so wenig wie man Glauben befehlen kann. Denn lieben kann man nur in Freiheit.
Der zweite Grund, warum ich nicht glauben kann an einen Gott, der Befehle erteilt, ist noch deutlicher: Wir könnten solche Befehle gar nicht ausführen. Wir sind alle – ausnahmslos – Sünder, wie Paulus sagt. Das Wort klingt heute vielleicht befremdlich, aber wir können nicht alles richtig machen, grundsätzlich nicht.
Wir können von uns aus die Gebote nicht erfüllen. Die Frommen nicht, weil sie sich oft über ihre Mitmenschen erheben, über die Armen und Gottlosen, den Sünder im biblischen Tempel. Die sozial Engagierten können die Gebote nicht erfüllen, weil sie oft vergessen, dass wir das Paradies auf Erden nicht aus eigener Kraft schaffen können; Die Moralisten sind weit weg von dem, was vollkommen ist, denn sie trauen Gott nichts zu – und der Vernunft anderer Menschen schon gar nicht. Keiner ist vollkommen – und das ist kein Schönheitsfehler, sondern das ist ganz grundsätzlich eine Eigenschaft von uns Menschen.
Wir sind auch als Christen eben keine moralischen Übermenschen, sondern wir sind gerade darin Christen, dass wir wissen: Wir sind Sünder. Unvollkommen und oft grenzwertig, gewiss bemüht aber immer wieder auf der falschen Spur. Ist also alles egal, vergeben und vergessen? Nein, denn für das, was ich tue, bin ich dennoch verantwortlich. Ich habe sogar ein Recht darauf, dass meine Taten ernst genommen werden – von Gott und der Welt. Mündig ist der Mensch, erwachsen soll er sein. Vernünftig und verantwortungsbewusst. Auch wenn die Welt nicht vollkommen ist, ist es nicht egal, wie sie ist. Es ist nicht egal, ob wir jemandem Gewalt antun, oder jemandem in der Not beistehen. Es ist nicht egal, ob wir um alles streiten und Unfrieden bereiten, oder ob wir um Ausgleich und Verständnis füreinander bemüht sind.
Aber in all dem gilt: Selbst wenn wir unser Bestes geben, bedürfen wir immer noch der Barmherzigkeit Gottes, der uns nicht nach dem beurteilt, was wir tun. Der Sinn unseres Lebens hängt nicht daran, ob wir erfolgreich sind beim Tun des Guten. Gott liebt uns, obwohl wir so unvollkommen und eigentlich unannehmbar sind. Unser Leben kann erfüllt sein und gelingen, auch wenn wir nur Stückwerk abliefern. Das ist das Wichtige.
Es gibt Menschen, die schier verzweifeln, wenn sie an ihr Leben und an Gott denken. Sie leben mit einem schlechten Gewissen, haben Fehler gemacht und meinen sie seien nicht gut genug. Versager und schlechte Eltern, unzufrieden mit sich, im Unfrieden mit sich selbst. Ein Psychologe könnte sicher einige solche Fälle schildern. Die Bibel erzählt deshalb von Gott, der sich über jeden erbarmt – über Gerechte und Ungerechte, über Hoffende und Verzweifelnde.
Deshalb gilt das eingangs gesagte. Obwohl wir unvollkommen sind, müssen wir in eigener Verantwortung handeln. Selbst zu glauben und selbst zu denken ist immer ein Wagnis. Das macht einen auch nicht immer bei anderen beliebt. Aber es ist das einzig richtige Leben: frei zu sein und sich nicht verbiegen zu lassen. Einen Sch…. muss Ich? Eines muss man also vielleicht doch: selbst glauben und an sich selbst glauben. Gott sieht dazu gnädig auf uns und macht uns frei.
(Predigttext ist Römer 11, 25-32)