Wovon die Kirche reden muss – Gedanken zur Karwoche 2021

Vor zwei Jahren war ich am Palmsonntag in Rom auf dem Petersplatz. Schönes Wetter, schöne Palmwedel, schönes Brauchtum. Man kann dabei den Einzug Jesu in Jerusalem fast spüren. An Palmsonntag weiß man, an wen man sich halten soll. Jesus kommt in die Stadt. Das Volk jubelt ihm zu. „Hosianna!“ „Gelobt sei der da kommt im Namen Gottes.“ Der Erlöser naht. 

Aber wenn Leute ausflippen, weil irgendeine Celebrity vorbeikommt, zucke ich zurück. Je mehr gejubelt wird, je verdächtiger ist mir das. Mir fällt schon das rhythmische Klatschen bei Schlagern schwer.
Denken muss man schon selbst, gerade jetzt. Das nimmt einem weder der Kommentator in der Tagesschau noch der Popstar auf RTL2 ab. Helfen müssen wir uns zunächst einmal selbst. Die Ratschläge dafür nehmen wir natürlich gerne von Fachleuten entgegen. Die Impfungen sind sicher und sie sind nötig. Man braucht also vielleicht doch Leute, die einem sagen, wo es langgeht. Die Leute in Jerusalem hatten solche Anführer zu Genüge: Römische Statthalter und hohe Priester, Bandenchefs im Untergrund und sicher auch den ein oder anderen Propheten, Intellektuellen würden wir heute sagen. Überzeugend war wohl niemand von denen. 

Und auch uns kann niemand auf Dauer Mut machen. Die Politiker müssen seit Monaten die immer gleichen Durchhalteparolen verbreiten – was sollten sie auch tun. Die Impfkampagne ist anfangs ebenso gegen die Wand gefahren worden wie die Corona-Warn-App. Aber was soll man auch von einem Volk erwarten, das wie das deutsche Angst vor Gentechnik und Strahlen hat. Eine „Wolke von Zeugen“ vermissen wir. Leute, die wissen, wo es lang geht. Aber mit solch einer Pandemie unter heutigen Bedingungen hat eben noch niemand Erfahrungen gemacht. Alles ist anders geworden in diesem zurückliegenden Jahr.Das Leben ist ernsthafter geworden, finde ich. Fast so, als seien wir alle ernsthaft krank. Da regt man sich nämlich nicht mehr so über Kleinigkeiten auf. Im Extremfall regt man sich über gar nichts mehr auf, sondern hofft nur noch, das es wieder gut wird, dass das eigene Leben weiter geht.

Das würden wir gerne ablegen, wie es im Hebräerbrief heißt: das, was uns beschwert. Die Sorgen und Ängste, vor allem die Unsicherheit sollte uns jemand nehmen. Ich stelle mir die Menschen in Jerusalem als verzweifelte Menschen vor. Zu viele Hoffnungen waren schon enttäuscht worden. Es ging ihnen immer schlechter. Weit und breit niemand, zu dem sie Vertrauen finden konnten. Bis auf Jesus, diesen Wanderprediger aus Galiläa. 

Vermutlich hat man bei ihm gespürt, dass er es ernst meint, und was er ernst meint: Dass wir Menschen aufeinander achten sollen; dass wir einander lieb sein sollen; dass jeder zählt; dass Gott uns nicht quält, sondern trägt; dass man nicht Angst haben muss, sondern Vertrauen und Hoffnung haben kann – auch wenn das Leben begrenzt wird.

Jesus hat die Ehebrecherin gerettet und den Aussätzigen geheilt. Jesus hat Arme geachtet und keinen verloren gegeben. Tausendmal haben wir das schon gehört, habe ich das als Pfarrer erzählt. Und dann geht an Sie die Frage, ob Sie das glauben. Und ich muss mich das genauso fragen lassen, ob ich das tief im Grunde meiner Existenz glaube. Glauben wir das, dass Gott so ist, dass er uns hält und trägt und rettet? 

Das wird sich zeigen, habe ich gelernt. Wenn wir mit unserem Latein am Ende sind oder zumindest ratlos. Wenn die Zukunft unsicher ist, verzerrt wie in einem getrübten Spiegel. Dann suchen wir Gott, der uns an der Hand nimmt und mit uns ist. Und unser Leben in seiner Hand hält. Und sagt: Vertraue mir! Hoffe auf mich! In der Welt hast Du Angst, aber sei getrost, ich habe die Welt überwunden. „Der Glaube ist eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“ heißt das im Hebräerbrief.

Hosianna haben die Leute gerufen, zurecht. Jesus meint es ernst. Obwohl er wie ein siegreicher Feldherr über die römische Prachtstraße zum Tempel zieht, verkneift er sich jeden Triumph. Er kommt auf einem Esel – wie ein kleiner Bauer in Israel. Das hat vielleicht sogar etwas lächerlich ausgesehen. Wie wenn heute ein Staats-Chef mit einem Fiat Punto vorfahren würde. Und statt der Ehrenwache vor dem Kanzleramt die Putzkolonne steht. Verkehrte Welt. Die die klein sind, werden im Reich Gottes groß sein; und die die groß sind, werden auch mal klein sein.

Es ist ja interessant, wie sich anfangs der Corona-Krise zumindest in der Wertschätzung die Werte verkehrten. Pflegekräfte erhielten Applaus, und über die gierigen Fußballstars, die auf ihre Gage bestehen, schüttelte man den Kopf. Das hat sich leider auf Dauer nicht erhalten: Dass wir die richtigen Leute bewundern: Die, die Gutes tun und selbstlos sind. Die, die nicht nur reden, sondern handeln. Die, die ihre Pflicht tun. Und sie uns zum Vorbild nehmen.

Ob die Menschen in Jerusalem gewusst haben, auf wen sie sich da einlassen, wen sie da bewundern? Sie konnten es wohl nicht einmal ahnen. Jesu geht direkt in den Tempel und fängt Streit an mit den Dienern der etablierten Frömmigkeit. Er zieht sich mit seinen Jüngern zu einem letzten Abendmahl zurück, ein gemeinsames Essen zum Passahfest, das seine Anhänger an ihn erinnern soll. Eine Henkersmahlzeit zunächst – die den Jüngern im Gedächtnis bleiben soll. Schließlich wird Jesus verhaftet, gefoltert, verurteilt und hingerichtet. Aus dem „Hosianna“ wurde ziemlich schnell ein „Kreuziget ihn!“ 

Als Jesus die Erwartungen nicht erfüllte, nicht alles mit einem Schlag besser wurde, war die Enttäuschung groß. Die Menschen haben’s nicht begriffen, heißt es im Johannes-Evangelium schon zu Beginn. Vielleicht ließ sich das gar nicht vermeiden. In dem Jahr, das seit Ausbruch der Krise vergangen ist, haben viele Leute viele verschiedene Dinge über die Kirche gesagt. Den einen war sie zu still, den anderen zu sehr auf sich selbst bedacht. Das meiste, was da gesagt wurde, war nicht ganz falsch, aber nur die Oberfläche. Zum Thema Impfen und zum Thema Politik haben andere mehr und Klügeres zu sagen. Und uns für sozial Schwache einzusetzen, ist selbstverständlich wie es für Jesus und seine Jünger selbstverständlich war, die 5.000 am See Genezareth mit Brot zu speisen.

Aber dann gibt es in der Botschaft als Kirche eben auch noch einen sehr tief gehenden und sehr unangenehmen Teil, der uns in dieser beginnenden Passionswoche deutlich wird. Wir müssten darauf hinweisen, dass es größeres Unheil gibt, als die Corona-Krise. Mit der können wir umgehen – durch Impfung und durch Finanzhilfe, durch Rücksicht aufeinander und Verzicht auf eigene Vorteile. Wir müssen das nur tun.

Aber dann gibt es Unheil, das nicht zu verstehen ist. Unheil, das sich nicht verhindern lässt. Durch keine Impfung. Der Unfalltod geliebter Menschen oder vielleicht auch nur Gemeinheiten anderer, denen man hilflos ausgeliefert ist und die einen krank machen.

Die Menschen am Straßenrand in Jerusalem hatten das nicht verstehen können: Dass Hoffnung eben nicht darin besteht, dass Jesus in Jerusalem einzieht und die Macht an sich reißt, sondern darin dass diese Welt vergeht und neu geschaffen wird. Wer einmal todkrank war, oder in seiner Familie an einen Abgrund des Lebens gekommen ist, wird das vielleicht verstehen – oder erahnen. Im größten Leid ist Gott uns am nächsten. Dann, wenn wir ihn nicht mehr spüren, nicht mehr glauben können, haben wir eine Tiefe und Ernsthaftigkeit des Lebens erreicht, die uns zu Gott bringt. 

Wir Menschen begreifen’s nicht. Wir können es nur über uns ergehen lassen. Dass auf den triumphalen Einzug in Jerusalem der Tod am Karfreitag folgt, ist eine bittere Wahrheit. Das klingt nach einem Weg in die Finsternis und man soll die Krise nicht klein reden, das Leid, die Krankheit und den Tod. Gott bewahre! Aber auf den Karfreitag wird Ostern folgen, das neue Leben. 

Amen!

Pfarrer Treiber predigt sonn- und feiertags in der Matthäuskirche in Heilbronn-Sontheim.

Über mtreiber

Matthias Treiber ist Pfarrer und Journalist. Matthias Treiber is a minister in the Lutheran Church of Wuerttemberg and journalist.
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