Manche Vorschläge in der Bibel sind ja ganz lebenspraktisch. „Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen“ heißt es zum Beispiel im Predigttext für den Sonntag. Geh nicht wütend ins Bett! Sonst setzt sich das fest.
Das kennen Sie vielleicht auch. Man kann durchaus zu Recht auf jemanden wütend sein, aber zufriedenstellend ist das nicht. Besser man versucht sich zu beruhigen, sucht das Gespräch mit dem anderen. Dann ist alles okay.
Ein Problem ist es allerdings, wenn man nicht auf jemanden, sondern auf etwas wütend ist. „Wutbürger“ sind ja so ein Phänomen. Vor Jahren hat man noch über die meist älteren Männer gespottet, die morgens am Küchentisch die Zeitung lesen und übel nehmen – wem oder was ist eigentlich egal, sie nehme übel und granteln an der Welt herum.
Erschrocken habe ich festgestellt, dass ich manchmal auch so bin. Und mich über politische Fragen aufrege, die doch eigentlich für mein eigenes Alltagsleben ziemlich egal sind.
Vor ein paar Wochen nun saß ich dann Berlin in der S-Bahn. Zufällig am Wochenende einer Demo gegen die Corona-Schutz-Maßnahmen. Ein älteres Ehepaar stieg ein, hatte sich Klarsichthüllen mit Parolen umgehängt – und wirkte ebenso hilflos wie es hilflos nach dem Weg zur Demo fragte. Viel Wut – und wenig Ahnung. Und die Gefahr, dass sie deswegen Rattenfängern hinterher laufen.
Wut ist immer ein schlechter Ratgeber. Deshalb: „Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen“ – egal, ob er berechtigt ist oder nicht.
Predigttext am Sonntag, 18. Oktober 2020, ist Epheser 4, 22-32.
Pfarrer Treiber predigt jeden Sontag um 10 Uhr in der Matthäuskirche Heilbronn-Sontheim.